Nur der Tag bricht an, für den wir wach sind.
Während des Autofahrens noch schnell etwas zum Frühstück essen, um rechtzeitig zum nächsten Termin zu kommen, beim Zähneputzen durch die Wohnung laufen, um Unterlagen für den nächsten Tag zu suchen oder schon mit dem Kollegen telefonieren während man die Kinder zur Schule verabschiedet – haben Sie sich schon schon einmal in einer derartigen Situation wiedergefunden?
Nicht selten werden im modernen zielorientierten Alltag nämlich mehrere Aufgaben zugleich erledigt, um so einen zeitlichen Vorsprung zu erzielen [11].
Das heutige Arbeiten bringt zahlreiche Anforderungen mit sich, wie beispielsweise Multitasking-Fähigkeiten, Termin- und Leistungsdruck, ein sehr hohes Arbeitstempo, Informationsüberschuss, Hektik, Über- oder Unterforderung sowie oftmals Überstunden oder das Arbeiten von zu Hause aus [3]. Diese Arbeitsanforderungen beanspruchen einen großen Teil unserer Ressourcen, welche jedoch ebenso für alltägliche Belastungen sowie private und familiäre Interessen benötigt werden. Folge ist eine Zunahme an Arbeitsunfähigkeitstagen und Erwerbsminderungsrenten, denn psychischer Stress wirkt sich sehr negativ auf unsere körperliche Gesundheit aus [3]. Doch nicht nur Arbeitstätige beklagen die Zunahme an Anforderungen, auch Kinder und Jugendliche berichten vermehrt von hohem Leistungsdruck und Überforderung, was sich auch hier in psychischen und körperlichen Symptomen niederschlägt [3].
Als Reaktion auf den modernen, hektischen Zeitgeist wurden die Prinzipien der Achtsamkeit des Molekularbiologen Jon Kabat-Zinn bereits in den 1990er-Jahren in die westliche Welt übergetragen [11].
Was genau man unter dem Begriff „Achtsamkeit“ versteht, wird in diesem Artikel genauer erläutert.
Exkurs: Unterbrechungen
Klingelnde Telefone, ständige Fragen von Kollegen, Bauarbeiten draußen vor dem Fenster oder technische Probleme: Unterbrechungen aller Art haben in der Regel negative Auswirkungen auf unsere Leistung und langfristig unser Wohlbefinden. Um nach einer dreiminütigen Unterbrechung wieder auf den vorherigen Leistungs- und Konzentrationsstand zu kommen, sind durchschnittlich zwei weitere Minuten nötig. Bei längeren Unterbrechungszeiten sind es sogar bis zu 15 weitere Minuten. Auch die Fehlerrate steigt als Folge von Unterbrechungen. Dies kann lebensgefährliche Konsequenzen haben, zum Beispiel wenn eine Krankenschwester während der Medikamentenzuteilung unterbrochen wird und sich danach wieder ihrer ursprünglichen Aufgabe zuwendet.
Multitasking ist dabei nur eine Illusion: wenn zwei Aufgaben parallel bearbeitet werden, dann sinkt die Leistungsfähigkeit bei beiden Tätigkeiten um 20 bis 40 Prozent (Baethge & Rigotti, 2013). Das Telefonieren über eine Freisprechanlage während des Fahrens führt beispielsweise dazu, dass die Aufmerksamkeitsspanne und das Fahrverhalten vergleichbar ist mit einem Alkoholwert von 0,8 Promille. [2]
Bei Achtsamkeit handelt es sich um einen spezifischen trainierbaren Bewusstseinszustand (Kohls et al. 2013) [3], welcher aus der buddhistischen Tradition stammt. Der Begriff „Achtsamkeit“ leitet sich dabei aus dem buddhistischen Wort „Sati“ ab, welches so viel bedeutet wie Gedächtnis, Umsicht, Sorgfalt oder Besinnung (Bodhi 2011) [11].
Im Rahmen des achtsamen Bewusstseinszustandes wird die Aufmerksamkeit aktiv auf den gegenwärtigen Augenblick gerichtet. Dieser Moment, genau jetzt, ist nämlich entscheidend, „denn nur in diesem Moment leben wir“ [5]. Aber leider vergessen, übersehen oder ignorieren wir diese Tatsache leicht [5].
Wie ist die Qualität Ihrer Erfahrungen, wenn Sie beispielsweise duschen, essen, laufen, Sport treiben oder wenn Sie in diesem Moment diese Zeilen lesen? [4] Vielleicht kennen Sie es aus eigener Erfahrung, nicht vollständig mit dem gegenwärtigen Augenblick im „Kontakt“ zu sein [4]. Häufig bemerken wir gar nicht, dass wir beim Duschen eben nicht beim Duschen sind, sondern in Gedanken ganz woanders oder dass wir eine Buchseite lesen, ohne anschließend wirklich zu wissen, worum es geht [4].
Dieses Ignorieren kann umfassende tiefgreifende Konsequenzen haben, denn es führt zu einer Form der Unklarheit und Unwissenheit, die unser Leben dauerhaft überschatten kann [5]. Möglicherweise vergessen wir im Zuge dieser Unwissenheit sogar, wer wir wirklich sind [5].
In einer achtsamen Aufmerksamkeitslenkung soll daher „jedes Abschweifen der Gedanken, ein Verlieren in Tagträumen oder Grübeleien über Vergangenheit oder Zukunft registriert werden, um diese Gedanken beiseite zu schieben und sich wieder auf den jetzigen Moment zu konzentrieren“ (Bishop et al. 2004) [7].
Die Hier-und-Jetzt-Erfahrung wird dabei in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit gerückt, anstelle sich während des Duschens also gedanklich mit dem vergangenen Arbeitstag oder bevorstehenden Einkauf zu beschäftigen, sollten wir darauf achten, dass wir uns diesem Moment bewusst sind, indem wir das Wasser auf der Haut wahrnehmen, sowie den Geruch der Seife und das Plätschern der Tropfen auf dem Boden [4].
Ziel ist es dabei, die „affektive Reaktivität“ zu vermindern. Diese tritt auf, wenn wir dazu neigen, auf Reize (wie z. B. unangenehme Bilder) mit negativen Reaktionen (z. B. unangenehmen Gefühlen) zu antworten (Sauer 2009) [3].
Kabat-Zinn (1990) spricht in diesem Zuge auch von einem „Autopilotenmodus“ [4]. Wenn wir uns also halbbewusst in diesen Situationen wiederfinden, dann werden automatisierte und starre Verarbeitungs- und Reaktionsmuster, wie zum Beispiel das Grübeln über vergangene Situationen, Tagträume, Fantasien oder Zukunftsgedanken begünstigt [3,4]. Da unser Geist jedoch eine gewisse „Vorliebe“ dafür hat, in diesen „Autopilotenmodus“ zu geraten, ist ein ständiges „Sich-wieder-Besinnen“ erforderlich [4]. Achtsamkeit ermöglicht es uns, „neu und unverbraucht auf Situationen einzugehen, ohne von automatisierten und vorschnellen Reaktionsmustern gesteuert zu werden“ [4].
Im Rahmen achtsamer Wahrnehmung sollten die im aktuellen Moment vorherrschenden Erfahrungen, Emotionen und Gedanken als solche offen und neutral registriert werden [11].
Nach Kabat-Zinn (1990) werden in diesem Zuge vor allem drei Aspekte betont: die Aufmerksamkeit soll
gerichtet werden [4].
Erfahrungen werden dabei nicht nach gut oder schlecht beurteilt oder danach, ob wir sie mögen oder nicht [11]. Es geht darum zu erkennen, dass „Wahrnehmung und Interpretation nicht mehr und nicht weniger als Ereignisse unseres eigenen Geistes sind“ [1,11].
Abbildung nach Kuschel (2016)
Ein weiterer psychologischer Ansatz sind sozial-kognitive Achtsamkeitskonzepte, welche in den 1980er-Jahren entwickelt wurden.
Achtsamkeit wird hier als Beitrag zur Lösung von sozialen Problemen gesehen (Langer und Moldoveanu 2000) [3]. Es geht hier also nicht um die Veränderung von einzelnen Personen, sondern um die Steigerung der Achtsamkeit bei Gruppen [3].
Im Fokus stehen hier vor allem Gesundheitsfragen, der demografische Wandel, Veränderungen in der Arbeitswelt sowie das Bildungssystem (Langer und Moldoveanu 2000) [3]. Beispiele für sozial-kognitive Achtsamkeit sind das bewusste Registrieren von Vorurteilen zur Verhinderung sozialer Diskriminierung sowie verbesserte Routinen im beruflichen Kontext zur Vorbeugung arbeitsbezogener Burn-out-Risiken sowie zur Steigerung von Kreativität (Langer, 1993) [3]. Die allgemeine Offenheit für neue Informationen und Perspektiven sollte in diesem Zuge verstärkt werden, um die Empathie der Gruppen zu fördern [3].
Aufmerksamkeit ist in den heutigen Tagen eine begrenzte und wertvolle Ressource, denn unser Alltag ist meist geprägt von Zeit- und Leistungsdruck. Wir befinden uns im „Autopilot“-Modus und finden oft keine Zeit, unsere Aufmerksamkeit zu erweitern, um so im Alltag bewusst schöne Momente zu entdecken und zu genießen [3].
Achtsamkeit kann daher laut Blickhan (2015) durchaus auch als Fitnesstraining für den Geist verstanden werden. Anstelle jedoch unsere Muskeln immer im Wechsel anzuspannen und zu entspannen, machen wir dies mit unserer Aufmerksamkeit. Sobald wir unsere Aufmerksamkeit beispielsweise auf den Atem richten, spannt sich der „mentale Muskel“ an. Das menschliche Gehirn ist jedoch darauf programmiert, ständig das Neue und Interessante zu suchen, weshalb die Aufmerksamkeit nach nur kurzer Zeit vermutlich wieder auf ganz andere Gedanken gerichtet wird, wie zum Beispiel auf die Frage, was es heute Abend zu essen gibt. Dies entspricht dann wiederrum dem Entspannen des „mentalen Muskels" [2]. Je besser wir den Aufmerksamkeits-Muskel trainieren, desto leichter fällt uns dessen Anspannen und desto länger können wir es anhalten. Jedes Mal, wenn wir unsere Aufmerksamkeit gezielt und wohlwollend bzw. freundlich mit uns selbst auf einen Fokus zurückführen, findet dieses Training statt [2].
Dieser Fokus muss natürlich nicht unbedingt unser Atem sein, er kann sich auch auf schöne Momente beziehen, wie beispielsweise auf ein intensives Gespräch, die Natur oder auch auf Sport oder Entspannung [2]. Dieser Fokus kann dabei unserem gesamtem System helfen, sich zu regenerieren [2]. Bereits fünf bis zehn Minuten Achtsamkeit pro Tag genügen, um unsere Konzentration zu verbessern [2]. Dies wiederrum führt dazu, dass wir ganz im gegenwärtigen Tun aufgehen (Flow-Erleben), wodurch die Leistungsfähigkeit erhöht und negative Folgen von vorherigem Stresserleben abgemildert werden können [2].
Aus dem „Autopilot“-Modus herauszukommen hilft dabei, schlechte Gewohnheiten aller Art zu erkennen und abzulegen [7]. Studien konnten zeigen, dass regelmäßige Achtsamkeit zu einer Verringerung von unbewussten negativen Bewertungen führt [2].
Diese können nämlich wiederrum Auswirkungen auf unsere Gefühle und Verhaltensweisen haben. Wenn beispielsweise ein Sportler einen negativen Ausgang des Wettkampfes erwartet, wird er durch diese Bewertung massiv belastet, was im Folgenden im Sinne einer selbsterfüllenden Prophezeiung zum Beispiel zu Ängsten und übervorsichtigem Verhalten und somit zu einer tatsächlichen Niederlage führen kann [11].
Achtsamkeit ist daher also entscheidend für persönliche Leistungsfähigkeit, Motivation und Problemlösungsfähigkeit [2,7].
Das bewusste Fokussieren der Aufmerksamkeit führt zu mehr subjektivem Wohlbefinden, emotionaler Klarheit, einer verbesserten Wahrnehmung der eigenen Bedürfnisse sowie zu mehr Offenheit für neue Informationen [7]. Überdies gibt Hinweise darauf, dass ein regelmäßiges Training dem kognitiven Abbau im Alter vorbeugt [2].
Der Dichter Robert Bly hat im Zuge von Achtsamkeit die sinnbildliche Metapher eines kleinen schwarzen Beutels geprägt. Über diesen Beutel verfügen wir laut Bly bereits seit unserer Geburt. Er ist an uns befestigt, wir tragen ihn unser ganzes Leben bei uns. In diesem Beutel verstecken wir Dinge, von denen wir denken, dass andere um uns herum diese Dinge nicht an uns mögen. In dem Moment, wo wir also ein braves Kind sein wollen, um es unseren Eltern recht zu machen, beginnen wir den Beutel zu füllen, denn wir sind von klein auf sehr sensibl dafür, wie die Gesellschaft uns sieht. Wenn wir dann zu Schule gehen, ist der Beutel vielleicht schon einen Kilometer lang, voll von allen möglichen Aspekten von uns, die wir für inakzeptabel halten und daher niemandem zeigen wollen. Irgendwann vergessen wir, dass dieser Beutel überhaupt existiert. Wir spüren jedoch sein Gewicht, das uns nach unten zieht und empfinden Minderwertigkeitsgefühle oder Verzagtheit und denken: „Das könnte ich nie“, oder: „Das ist zu schwer für mich“. Wir haben uns unbewusst selbst kleingemacht und über die Jahre auf einen geringen Teil jenes Wesens reduziert, das wir einmal waren, bevor wir vermittelt bekamen, dass es gut ist nachts durchzuschlafen und dass es schlecht ist, laut zu weinen. Wenn wir dann im Berufsleben sind, ist der Beutel noch länger und wir merken, dass wir keine Lust haben, zu arbeiten. Wir spüren das versteckte Gewicht, das wir jeden Morgen mit uns tragen. Je länger wir Teile unseres Wesens in diesem Beutel verstecken, desto mehr vergiften diese Beutelinhalte. Den Beutel zu öffnen, um etwas von den giftigen Inhalten herauszulassen, geschieht zu Beginn nur widerstrebend. Achtsamkeit ermöglicht es uns jedoch, Stück für Stück langsam den Beutelinhalt zu leeren, ohne davon überwältigt zu werden. [5]
Diese Metapher des Beutels von Kabat-Zinn [5] veranschaulicht sehr gut, weshalb es so wichtig ist, zu beginnen, Erfahrungen und Empfindungen einfach so als solche wertfrei anzunehmen. Die Zuschreibung von Wertekategorien wie „gut“ oder „schlecht“ existiert nur in unserem Geist, weil es das ist, was wir uns über die Jahre angelernt haben.
Wichtig ist es, sich mit dem Üben von Achtsamkeit nicht unter Druck zu setzen. Ein hilfreicher Rat ist hier zum Beispiel dieser: „Wenn Sie denken, Sie können zehn Minuten Achtsamkeit üben, dann machen Sie nur acht." [2]. Ein niedriger Anspruch hilft dabei, Achtsamkeit leichter und motivierter in den eigenen Tagesablauf zu integrieren [2]. Schätzen Sie Ihre Erfolgserlebnisse wert und haben Sie Geduld mit sich selbst.
Zum Erlernen von Achtsamkeit ist es sehr hilfreich, sich in einer ruhigen, ungestörten Umgebung aufzuhalten, um so die gewünschte Entspannungsreaktion auszulösen, man spricht hier auch von der formalen Ausübung von Achtsamkeit [3]. Später kann Achtsamkeit natürlich in alle Alltagsbereiche integriert werden. Auf diese informale Achtsamkeitspraxis werden wir im weiteren Verlauf des Blogeintrages noch einmal genauer zusprechen kommen.
Ein wichtiger Punkt der formalen Übungen ist die Körperhaltung. Wenn die Wirbelsäule gerade ist und der Kopf aufrecht, dann wird ein Bereich im Gehirn aktiviert, der uns dabei unterstützt, wach und aufmerksam zu sein (aufsteigendes retikuläres Aktivierungssystem, kurz: „ARAS“) [2]. Achtsamkeit kann dementsprechend sowohl sitzend als auch kniend, liegend oder gehend trainiert werden [2,3]. Falls Sie sich dazu entscheiden, Achtsamkeitsübungen sitzend durchzuführen, dann ist es empfehlenswert, sich auf die vordere Stuhlkante zu setzen, beide Füße auf dem Boden oder, wenn Sie mögen, auf einem Meditationsbänkchen, Kissen oder einer zusammengerollten Decke [2].
John Benson, ein Harvard-Mediziner, betonte, dass es im Training der Achtsamkeit wichtig ist, sich nicht auf eine einzelne Haltung oder Technik einzuengen (Benson & Klipper 1978) [2].
Je nach persönlichem Belieben kann ein eigener Weg gefunden werden, Achtsamkeit zu erleben. Typische formelle Übungen sind Sitz- und Gehmeditationen, Body-Scans, Atemmeditation und Yoga-Übungen [3]. Probieren Sie verschiedene Dinge aus, nur so können Sie den richtigen Weg für sich finden.
Die wahre Lebensweisheit besteht darin, im Alltäglichen das Wunderbare zu sehen.
Bei Atemmeditation handelt es sich um das bewusste Lenken der Aufmerksamkeit auf den Atem. Sie benötigt keine Anleitung, sondern lediglich die Bereitschaft, „dem eigenen Atem aufmerksam zu lauschen, ihn zu spüren und dabei Denken und Fühlen kommen und gehen zu lassen“ [10]. Die Atmung wird nicht beeinflusst und die dabei entstehenden körperlichen Empfindungen der Atmung werden beobachtet. Sobald die Aufmerksamkeit zu Gedanken, Emotionen oder anderen Körperempfindungen abschweift, wird dies lediglich zur Kenntnis genommen, ohne es zu bewerten oder zu analysieren, und anschließend die Aufmerksamkeit freundlich und sanft wieder auf den Atem gelenkt (Bishop 2002) [3,4]. Durch bewusstes, tiefes und langsames Ein- und Ausatmen empfinden wir ein Gefühl von Ruhe, unsere alltäglichen Gedankenströme werden beruhigt, was mehr Bewusstseinskapazitäten für die schönen Momente schafft. Das Buch „Anleitung zur Atemmeditation“ von Detlef Schönherr (2021) bietet eine gute ausführliche Anleitung zum atembasierten Selbsttraining der Achtsamkeit. Eine Kurzfassung einer Atemmeditation finden Sie im Folgenden:
Sei in diesem Moment glücklich, das ist genug. Wir brauchen nicht mehr, als diesen Moment.
Begeben Sie sich an einen ungestörten Ort, an dem Sie sich wohlfühlen. Es sollte in der Zeit der Atemmeditation möglichst zu keinen Störungen durch andere Menschen oder auch durch elektronische Geräte kommen. Falls doch Störungen auftreten, integrieren Sie diese einfach in Ihre Übung und lassen Sie vorbeiziehen.
Wenn Sie eine geeignete ruhige Umgebung gefunden haben, nehmen Sie eine aufrechte Haltung ein. Die Wirbelsäule sollte aufrecht sein und Ihr Kopf gerade. Am wichtigsten ist es jedoch, dass Sie selbst sich wohlfühlen. Nehmen Sie sich ruhig etwas Zeit, um die für Sie angenehmste Position zu finden. Ob Sie sitzen, knien, stehen, liegen oder gehen ist dabei ganz Ihnen überlassen.
Um sich ganz auf die Übung einzulassen, können Sie sich einen Wecker stellen, der Sie leise daran erinnert, wieder zu sich zu kommen.
Atmen Sie nun ganz tief ein und aus und versuchen Sie, Ihren Körper und Ihre Gedanken zu entspannen. Hierfür können Sie die Augen sowohl geöffnet als auch geschlossen halten.
Richten Sie Ihre Aufmerksamkeit auf Ihren Körper. Lassen Sie Ihre Wahrnehmung hierfür langsam von den Füßen Stück für Stück weiter wandern. Ihre innere Haltung sollte dabei freundlich sein, ohne den Wunsch, etwas zu verändern. Sobald Sie das Gefühl haben, Ihren ganzen Körper wahrgenommen zu haben, nehmen Sie bewusst auch die Hintergrundgeräusche wahr, auf welche Sie normalerweise vielleicht gar nicht achten würden.
Lassen Sie alle Gedanken, die Sie im Moment noch beschäftigen, an sich vorbeiziehen und machen Sie sich bewusst, dass die nächsten Minuten ausschließlich Ihnen und Ihrer Entspannung dienen. Manchmal hilft es beim Abschalten, sich ein beruhigendes Szenario vorzustellen. Versuchen Sie es doch einmal mit dem Bild von Blättern, die auf einem Bach treiben.
Achten Sie dabei auf Ihre Atmung und versuchen Sie, einen gleichmäßigen Rhythmus zu halten. Spüren Sie die Luftzüge und die leichte Bewegung im Körper und wie der Atem ganz von selbst ein- und wieder ausströmt. Spüren Sie, wie die Luft durch Ihre Nasenflügel strömt und wie sich Ihre Brust hebt und senkt. Achten Sie darauf, wie Sie die Bewegung des Atems am Bauch, an den Seiten und vielleicht sogar am Rücken spüren können.
Wenn Sie möchten, können Sie Ihre Atemzüge zählen, je nachdem, ob es für Sie angenehm ist oder nicht.
Wenn Sie bemerken, wie Ihre Gedanken abschweifen, dann lassen Sie sie vorbeiziehen und lenken Sie sie freundlich wieder zurück auf die Atmung. Es gibt für diesen Moment nichts außer den Rhythmus Ihres Einatmens und Ausatmens. Bleiben Sie noch einige Minuten in dieser Haltung der bewussten Aufmerksamkeitslenkung auf den Atem.
Lassen Sie zu, zunehmend ein Gefühl von Gelassenheit und Ruhe zu empfinden und nehmen Sie dieses Empfinden bewusst wahr. Beenden Sie die Übung mit einem tiefen Atemzug, strecken Sie sich und trinken Sie vielleicht etwas Wasser. Bewegen Sie sich und kommen Sie langsam aber sicher wieder ganz in die Gegenwart zurück.
Die Übung ist damit beendet - versuchen Sie, das Gefühl der Achtsamkeit mit durch den weiteren Tag zu nehmen. [2]
TIPP: Es kann sehr nützlich sein, sich nach jeder Achtsamkeitsübung kurz für ein bis zwei Minuten die eigenen Erfahrungen zu notieren. Es hilft dabei, herauszufinden, was für Sie die beste Wirkung im Alltag zeigt.
Wie bereits zuvor beschrieben, muss Achtsamkeit nicht zwangsläufig in formalen, angeleiteten Übungen ausgeübt werden. Sie kann auch informal in den Alltag integriert werden. Einige Möglichkeiten, um im Alltag in einen achtsamen Zustand zu kommen, werden im Folgenden beschrieben. [9]
Auf dem Heimweg nach der Arbeit, versuchen Sie an jeder roten Ampel, an der Sie halten (oder alternativ an jeder Haltestelle mit den öffentlichen Verkehrsmitteln) ein Gefühl der Achtsamkeit zu erzeugen. Reflektieren Sie beispielsweise erlebte Situationen, indem Sie Fragen beantworten wie [9]:
Was ist mir heute gut gelungen?
Was habe ich dazu beigetragen?
Worüber habe ich mich gefreut?
Was möchte ich heute noch schaffen?
Wie kann ich das bewältigen?
Welche Person hat heute einen bleibenden Eindruck bei mir hinterlassen?
Alternativ oder ergänzend zu diesen Reflexionsübungen können Sie auch bewusst in dieser Wartezeit bewusst auf Ihre Atmung achten.
Ziel dieser Übung ist es, dass Sie abschalten können, sobald Sie Ihr Ziel erreichen. Versuchen Sie dann in Ihrer Freizeit auch tatsächlich „frei zu sein“ und sich nicht weiter mit den Arbeitssituationen zu beschäftigen. Genießen Sie die Zeit mit Ihrer Familie und Ihren Freunden. [9]
Vielleicht kennen Sie das Buch „Momo“ von Michael Ende. Einer der guten Freunde von Momo ist Beppo der Straßenkehrer. Einen Einblick in seine Sicht auf die Arbeit soll das folgende Zitat aus dem Buch bieten [14]:
„‚Siehst du, Momo‘, sagte er dann zum Beispiel, ‚es ist so: Manchmal hat man eine sehr lange Straße vor sich. Man denkt, die ist so schrecklich lang; das kann man niemals schaffen, denkt man.‘ Er blickte eine Weile schweigend vor sich hin, dann fuhr er fort: ‚Und dann fängt man an, sich zu beeilen. Und man eilt sich immer mehr. Jedes Mal, wenn man aufblickt, sieht man, dass es gar nicht weniger wird, was noch vor einem liegt. Und man strengt sich noch mehr an, man kriegt es mit der Angst, und zum Schluss ist man ganz außer Puste und kann nicht mehr. Und die Straße liegt immer noch vor einem. So darf man es nicht machen.‘ Er dachte einige Zeit nach. Dann sprach er weiter: ‚Man darf nie an die ganze Straße auf einmal denken, verstehst du? Man muss nur an den nächsten Schritt denken, an den nächsten Atemzug, an den nächsten Besenstrich. Und immer wieder nur an den nächsten.‘ Wieder hielt er inne und überlegte, ehe er hinzufügte: ‚Dann macht es Freude; das ist wichtig, dann macht man seine Sache gut. Und so soll es sein.‘ Und abermals nach einer langen Pause fuhr er fort: ‚Auf einmal merkt man, dass man Schritt für Schritt die ganze Straße gemacht hat. Man hat gar nicht gemerkt wie, und man ist nicht außer Puste.‘ Er nickte vor sich hin und sagte abschließend: ‚Das ist wichtig.‘“ [14 - aus dem Buch „Momo“ von Michael Ende; zitiert nach Schmidt, 2012).
In alltäglichen Situationen, in welchen Sie sich mit einem Gefühl von Überforderung und Erschöpfung konfrontiert fühlen, nicht mehr wissen, was sie zuerst und zuletzt machen sollen und folglich gereizt und niedergeschlagen reagieren, dann rufen Sie sich die Denkweise von Beppo in den Kopf. Eine gute Möglichkeit, diese Denkweise anzuwenden, sind To-Do-Listen, welche Schritt für Schritt abgearbeitet werden können, ohne sich dabei von der Masse an Dingen erschlagen zu lassen.
Achtsamkeit kann auch noch im höheren Alter entwickelt werden, zum Beispiel in Form von Yoga als Ausgleich zum Alltagsstress. Förderlich ist es jedoch natürlich, Achtsamkeit bereits in jungen Jahren zu erlernen, um so die psychische Widerstandsfähigkeit zu stärken und mit Krisensituationen im Leben besser zurechtzukommen.
Achtsame Zustände können Kindern bereits durch ihre Erziehung nähergebracht werden. Studien konnten zeigen, dass Achtsamkeit im Kindheits- und Jugendalter die Fähigkeit erhöht, sich in andere hineinzuversetzen. Ein liebevolles, nicht-wertendes, sicheres Umfeld ist hier die Voraussetzung - der Geist junger Kinder ist sehr leicht beeinflussbar. Und außerdem bringen Kinder häufig eine ganz natürliche Achtsamkeit, ein „Im-Moment-Sein“ mit. Das kann ausgebaut werden. Kleine Kinder erlernen Güte, Aufmerksamkeit und emotionale Regulation nicht durch Begriffe und Konzepte, sondern indem erwachsene Bezugspersonen diese Eigenschaften verkörpern und ihnen lehren.
In einem Alter von fünf bis sieben Jahren kann Achtsamkeit zu Beginn durch Spiele, Geschichten und erfahrungsbezogene Übungen gefördert werden.
Indem sich die Kinder gegenseitig Blumen oder gebastelte Dinge schenken, lernen sie zum Beispiel ein Gefühl von Großzügigkeit, auch in diesem Alter können diesbezüglich bereits kurze Reflexionen angeregt werden.
Abends, wenn die Kinder zur Ruhe kommen, können Rituale die Achtsamkeit erhöhen. Um ihren Atem zu spüren, legen die Kinder sich hin, setzen ein Kuscheltier auf ihren Bauch und beobachten, wie es sich mit ihrem Atem hebt und senkt. Auch Gute-Nacht-Geschichten sind eine sehr gute Möglichkeit, dabei zu helfen, sich mit Mitgefühl und Aufmerksamkeit identifizieren zu können und Fähigkeiten zur Perspektivübernahme zu entwickeln.
Kinder haben in der Regel kaum Probleme, Mitgefühl mit sich selbst zu haben. Diese Eigenschaft nimmt mit zunehmendem Alter ab. Eine Möglichkeit, sie länger zu erhalten, sind zum Beispiel liebevolle Wünsche an sich vor dem Schlafengehen oder nach dem Aufstehen.
In einem Alter von acht bis zehn Jahren beginnen Kinder meist zunehmend Unsicherheit zu entwickeln – in dieser Zeit wird Achtsamkeit und Selbstmitgefühl besonders relevant. Die Kinder erhalten Schulnoten und entwickeln langsam mehr soziales Bewusstsein.
Je älter die Kinder werden, desto mehr kann auch mit Begriffen gearbeitet werden, um ihnen den Sinn der Achtsamkeit näherzubringen. Mögliche Fragen sind hier zum Beispiel „Warum glaubst du, ist es wichtig, Mitgefühl mit anderen zu haben?“ oder „Wie fühlt es sich für dich an, wenn du Menschen, auf die du gerade wütend bist, trotzdem nette Sachen wünschst?“ [8]
Achtsamkeit kann also in jedem Alter erlernt werden. Sie kann unabhängig von der Religion ausgeübt werden und muss nicht unbedingt in Form vom klassischen „Yoga“ geschehen. Wichtig ist es lediglich, dem eigenen Körper und Geist freundlich gegenüber eingestellt zu sein und alle Empfindungen und Gedanken als solche bewusst wahrzunehmen und zu akzeptieren. So wird uns der stressige Alltag etwas erleichtert und wir lernen, Geduld mit uns selbst und unseren Mitmenschen zu entwickeln.
[1] Anderssen-Reuster, U. (Hrsg.) & Altner, N. (2007). Achtsamkeit in Psychotherapie und Psychosomatik. Haltung und Methode. Stuttgart: Schattauer.
[2] Blickhan, D. (2015). Positive Psychologie. Ein Handbuch für die Praxis. Paderborn: Junfermann.
[3] Chang-Gusko, YS. (2019). Geschichte und Definitionen von Achtsamkeit. In: Chang-Gusko, YS., Heße-Husain, J., Cassens, M. & Meßtorff, C. (eds) Achtsamkeit in Arbeitswelten. FOM-Edition. Wiesbaden: Springer. https://doi.org/10.1007/978-3-658-25673-9_1
https://link.springer.com/chapter/10.1007/978-3-658-25673-9_1
[4] Heidenreich, T. & Michalak, J. (2009). Achtsamkeit. In: Margraf, J., Schneider, S. (eds) Lehrbuch der Verhaltenstherapie. Berlin: Springer. https://doi.org/10.1007/978-3-540-79541-4_35
https://link.springer.com/chapter/10.1007/978-3-540-79541-4_35
[5] Kabat-Zinn, J. (2012). Das Abenteuer Achtsamkeit. Wie Sie Weisheit für Körper, Geist und Seele entwickeln. Freiburg: Arbor.
[6] Zitat: "Nur der Tag bricht an, für den wir wach sind"
Kabat-Zinn, J. (2019). Im Alltag Ruhe finden. Meditationen für ein gelassenes Leben. München: Droemer Knaur.
[7] Kuschel, H. (2016). Achtsamkeit. In: Frey, D. (eds) Psychologie der Werte. Berlin: Springer. https://doi.org/10.1007/978-3-662-48014-4_2
https://link.springer.com/chapter/10.1007/978-3-662-48014-4_2
[8] Rechtschaffen, D. (2018). Die achtsame Schule - Praxisbuch: Leicht anwendbare Anleitungen für die Vermittlung von Achtsamkeit. Freiburg: Arbor.
[9] Schmidt, S. (2012). Achtsamkeit im Alltag. In: Achtsamkeit und Wahrnehmung in Gesundheitsfachberufen. Springer, Berlin. https://doi.org/10.1007/978-3-642-20889-8_1
[10] Schönherr, D. (2021). Anleitung zur Atemmeditation. Paderborn: Junfermann
[11] Staufenbiel, K., Hill, A. (2021). Achtsamkeit und Achtsamkeitstraining. In: Güllich, A., Krüger, M. (eds) Sport in Kultur und Gesellschaft. Berlin: Springer. https://doi.org/10.1007/978-3-662-53407-6_34
[12] Thoreau, H. D. (1854). Walden Pond; or, Life in the Woods. Boston: Ticknor and Fields.
[13] Zitate: „Sei in diesem Moment glücklich, das ist genug. Wir brauchen nicht mehr, als diesen Moment.“ und „Die wahre Lebensweisheit besteht darin, im Alltäglichen das Wunderbare zu sehen.“
https://www.careelite.de/achtsamkeit-zitate-bewusstsein-sprueche/
[zuletzt abgerufen am 13.09.2023]
[14] https://www.stillkinder.de/beppo-strassenkehrer/ [zuletzt abgerufen am 25.09.2023]