Das schönste und komplexeste Gefühl: die Liebe

Wo man Liebe aussät, da wächst Freude empor.

William Shakespeare

Eine allgemeine Antwort auf diese schwere Frage, was Liebe ist, gibt es nicht. Würde man hundert Menschen fragen, würden man vermutlich hundert verschiedene Antworten bekommen. Der Philosoph Platon zum Beispiel verstand die Liebe als „eine schwerwiegende Geisteskrankheit“. Der Dramatiker Euripides sagte jedoch, dass die Liebe „von allen Krankheiten noch die gesündeste“ sei. Der Duden definiert die Liebe als ein starkes Gefühl des Hingezogenseins, der Zuneigung zu einem nahestehenden Menschen“. Liebe muss daher nicht immer körperlicher Natur sein, sie kann auch auf geistiger Zuneigung beruhen [1]. Romantische Liebe ist eine der tiefsten emotionalen Erfahrungen, die aber oft schwer zu erklären ist. Erklärungen scheinen sogar der Liebe zu schaden, weil die Erwähnung von Gründen, warum die Nähe einer geliebten Person gesucht wird, zu weniger Zuneigung führt [2].

Was ist Liebe?

Liebe ist wissenschaftlich und völlig unromantisch ausgedrückt ein Gefühlszustand der Zuneigung. Es gibt unterschiedliche Arten der Liebe, die vom Verhältnis der Personen abhängen, wie zum Beispiel zwischen Liebespartner, Freunden und Eltern und ihren Kindern.

Doch auch innerhalb einer romantischen Beziehung gibt es verschiedene Formen. Anfangs sind wir Hals über Kopf verliebt, danach bleibt es im Idealfall romantisch und wird ernster, später entsteht eine tiefe Bindung zum Partner. Wichtig ist zu erkennen, dass Liebe sich verändert.

Liebe wird oft als das stärkste Gefühl beschrieben und ist dabei äußerst zwiespältig. Manche Menschen treibt sie in Zustände des vollkommenen Glücks, andere schleudert sie bei Nichterwiderung der Gefühle in die Depression. Sie besitzt die Kraft, alle moralischen Hemmschwellen über Bord zu werfen.

Aber auch das Gegenteil ist möglich. Die Liebe ist ein Gefühl basierend auf einer biochemischen Grundlage und neurobiologischen Mustern, die uns Menschen hilft, Bindungen einzugehen. Liebe stärkt das Miteinander, erhöht evolutionär betrachtet den Paarungserfolg und die Chancen auf gesunden Nachwuchs. Das sichert einer Spezies das Überleben. Die Liebe ist eine der einflussreichsten und trickreichsten Funktionen, die sich seit ewig in Gehirn und Körper eingebaut haben [3].

Die Liebe wurde als Thema der Psychologie erst vor kurzem "entdeckt". Daher stammt die Fachliteratur zur Liebe, bis auf einige Ausnahmen, aus den letzten 25 Jahren. Es liegt bislang keine allgemein gültige Bedeutung von Liebe vor. Der Grund dafür ist sicherlich unter anderem, dass Liebe in äußerst vielfältigen Erscheinungsformen zu beobachten ist, aber auch, weil Liebe kulturellen Einflüssen unterliegt.

Die moderne Liebesforschung hat sich überwiegend mit der romantischen oder partnerschaftlichen Liebe befasst. Man kann diese Ansätze drei Schwerpunkten zuordnen:

  1. Liebe als biologisches Geschehen,
  2. Liebe als Emotion und
  3. Liebe als Kognition bzw. Gedanke.

Ansätze der Liebe

Der früheste Ansatz der Liebe als biologisches Geschehen, nämlich als Triebgeschehen (Libido), geht auf Sigmund Freuds Tiefenpsychologie zurück. Ein neuerer Ansatz, der die biologischen Aspekte betont, sieht die Liebe im Rahmen der Evolution. Die letztendliche Funktion von Liebe ist, den Erfolg der Reproduktion zu erhöhen.

Ein weiterer Ansatz vergleicht kindliches Bindungsverhalten und romantische Liebe. Liebe wird als Kombination von drei biologisch wichtigen Basisverhaltenssystemen gesehen:

  1. Bindung,
  2. Fürsorge und
  3. Sexualität.

Für Laien gibt es offenbar keine Zweifel dafür, dass Liebe ein Gefühl beinhaltet. In der wissenschaftlichen Psychologie wird die Frage, ob Liebe überhaupt eine Basisemotion ist, jedoch umstritten diskutiert.

Einige Forschern vertreten ein zweistufiges Modell von Liebe als Emotion. Liebe kann zum Einen eine starke Gefühlsaufwallung sein, zum anderen kann eine Liebesemotion als beziehungsgebundene Liebe in Erscheinung treten.

Ein anderer Ansatz, die Zweikomponenten-Theorie der Liebe, setzt voraus, dass Liebe dann entsteht, wenn eine bestimmte physiologische Erregung (Arousal) gegeben ist, die dann in einer entsprechenden Situation als Liebe interpretiert wird [4].

Perspektiven auf die Liebe und Geschlechterunterschiede

Grundsätzlich lässt sich zwischen einer evolutionspsychologischen und einer kulturellen Perspektive der Liebe unterscheiden. Das Verhalten bei der Partnerwahl und während der Partnerschaft ist durch evolutionäre Anpassungen gekennzeichnet. Diese Anpassungen sind für Männer und Frauen teilweise ähnlich, aber auch unterschiedlich.

Männer und Frauen suchen zum Beispiel gleichermaßen nach verständnisvollen, vertrauenswürdigen und hilfsbereiten Partnern. Bei der Partnerwahl orientieren sich Frauen jedoch stärker am sozialen Status, Männer eher an physischer Attraktivität und Jugendlichkeit. Dementsprechend kann angenommen werden, dass Eifersucht bei Männern und Frauen durch unterschiedliche Merkmale aktiviert werden.

Über verschiedene Kulturen, Bevölkerungsschichten und historische Epochen lässt sich im vergleichend feststellen, dass unterschiedliche Modelle der Liebe vorherrschen. In westlichen Ländern trat in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine zunehmende Bedeutung der romantischen Zuneigung beziehungsweise des romantischen Ideals als Voraussetzung für die Bildung einer Partnerschaft auf. Romantische Liebe wurde zu einem Hauptkriterium für die Auswahl eines Partners [2].

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Klassifikation von Liebesstilen

Bei den meisten Ansätzen stehen Kognitionen über die Liebe im Vordergrund. Die kognitiven Ansätze versteht Liebe unter anderem als ein Klassifikationssystem, welches in sechs verschiedene Liebesstile (Wenninger, 2023), die relativ stabil und über mehrere Jahre ausgeprägt sind, einteilt:

  1. Romantische Liebe beinhaltet Merkmale wie eine körperliche Anziehung, Liebe auf den ersten Blick erleben, physiologisch erregt sein und schnell die Bereitschaft entwickeln, sich aufeinander einzulassen, sich ineinander hineinzuversetzen und für sich persönlich jeweils emotionalen Gewinn zu ziehen.
  2. Spielerische Liebe beruht auf der Idee von sexueller Freiheit. Das Ziel besteht in der Verwirklichung von sexuellen Wünschen im Hier und Jetzt. Dazu gehören Täuschung, Manipulation und Versteckspiel. Die Bindungsrichtung ist vermeidend (siehe weiter unten), sodass Unwohlsein bei zu großer Intimität und Nähe aufkommt.
  3. Freundschaftliche Liebe entsteht aus langer Bekanntschaft oder Freundschaft. Im Mittelpunkt der Beziehung stehen gemeinsame Interessen und Aktivitäten, dominierend ist emotionale Gelassenheit, die durch Toleranz und Respekt gekennzeichnet ist. Sexuelle Anziehung entwickelt sich im Laufe der Zeit.
  4. Besitzergreifende Liebe ist im Unterschied zu der freundschaftlichen Liebe hoch emotional. Die geliebte Person erscheint als einmalig und unersetzbar und strahlt Vollkommenheit aus. Mit der ängstlich-ambivalenten Bindung zusammenhängend (siehe weiter unten) ist die Neigung zur Eifersucht besonders charakteristisch, welche dieser Liebesform zugrunde liegt. Sie hängt mit der Angst zusammen, verlassen zu werden.
  5. Bei der pragmatischen Liebe steht die Nutzenorientierung im Vordergrund. Dementsprechend ist das emotionale Niveau niedrig und das bewusste Abwägen von Vor- und Nachteilen hoch ausgeprägt. Man kann von einer analytischen oder rationalen Vorgehensweise sprechen. Der ideale Partner erscheint als solide und talentiert.
  6. Altruistische Liebe zeichnet sich dadurch aus, dass das Wohl der geliebten Person im Vordergrund der Aufmerksamkeit steht. Eigene Perspektiven sind durch die Bedürfnisse des Partners bestimmt, die oft mit Opferbereitschaft beantwortet werden [2].

Was du liebst, lass frei. Kommt es zurück, gehört es dir – für immer.

Konfuzius

Dreieckstheorie

In der sogenannten Dreieckstheorie der Liebe geht Robert Sternberg (1986) wiederum davon aus, dass sich das Phänomen der Liebe das Zusammenspiel dreier Komponenten sei, die in Form eines Dreiecks dargestellt werden können. Jede Seite des Dreiecks wird durch eine der drei Liebeskomponenten repräsentiert:

  1. Die Komponente Vertrautheit beziehungsweise Intimität umfasst positive Gefühle, zu denen Nähe, Respekt dem Partner gegenüber, Bindung, Gebundenheit, Intimität, Behaglichkeit, Verbundenheit, Wunsch nach Wohlbefinden, Wärme, glücklich sein, Zuverlässigkeit, gemeinsames Teilen des Geschaffenen, Wertschätzung, emotionale Unterstützung zählen. Vertrautheit kann man als emotionale Komponente der Beziehung betrachten, denn mit ihr ist die Einheit von Gefühlen und Verhalten gemeint, die der Beziehung ihre Innigkeit verleiht.
  2. Der Leidenschaft wird die motivationale Komponente zugeschrieben, denn diese fördert eine hohe Aktivierung. Motive sind etwa die Vermeidung von Einsamkeit, Dominanz und Unterwürfigkeit, ebenso sexuelle Bedürfnisse, wobei die Stärke dieses Bedürfnisses von weiteren Faktoren abhängt, etwa der Art der Beziehung, der Situation und von der betreffenden Person. Diese Komponente beinhaltet, dass man sich vom anderen angezogen fühlt oder dass man seine Berührung und Nähe schätzt.
  3. Bindung beziehungsweise Entscheidung ist die kognitive Komponente, wobei hier die kurzfristige und die langfristige Komponente unterschieden werden können. Der Langzeitaspekt ist im Sinne von Engagement dafür da, die Beziehung weiter zu pflegen. Eine Mensch kann einen anderen sympathisch finden und Zeit mit diesem verbringen, ohne daran zu denken, ob man mit diesem eine langfristige Beziehung oder Bindung eingehen möchte. Ebenso kann darüber nachgedacht werden, ob dieser Mensch der richtige Partner ist, und ob eine längerfristige Bindung eingegangen werden sollte.

Die drei Komponenten beeinflussen einander gegenseitig und treten in der Regel gemeinsam auf, wobei die Komponente Leidenschaft eher als heiße Vertrautheit angesehen wird, und Bindung als kühle Komponente. Nicht in jeder Beziehung nehmen die drei Bereiche jedoch gleich große Flächen ein, denn so spielt etwa in engen Beziehungen Vertrautheit eine größere Rolle als in Beziehungen, die keine oder nur wenig Nähe aufweisen [5].

Dreieckstheorie

Die Wechselwirkung von Liebe und Bindung

Allgemein wird geglaubt, die Liebe sei etwas, das ganz einfach vorhanden ist oder eben nicht. Doch Liebe ist nichts Abstraktes, das von sich aus gegeben ist. Vielmehr sind Liebesgefühle direkt davon abhängig, wie Menschen miteinander umgehen.

Jeder Mensch kommt mit der Sehnsucht nach Bindung auf die Welt. Dieser Wunsch nach Bindung ist ein zentraler Bestandteil unseres Lebens. Die Hoffnung Geborgenheit, Wertschätzung und Zärtlichkeit zu erleben, ist universell, das heißt sie wird von allen Menschen geteilt. Wenn sie in Erfüllung geht, ist eine der wichtigsten Voraussetzungen für die eigene Zufriedenheit und psychische Stabilität gegeben.

Ist eine solche Bindung gefährdet, stellt dies oft eine der größten Quellen für persönliche Verunsicherung dar. Und wenn diese Bindung zerbricht, bedeutet dies fast immer eine persönliche Krise für die Betroffenen, teils begleitet von Angstzuständen, depressiven Einbrüchen und dem Verlust an Lebensperspektive.

Diese Bedeutung von Bindung und die damit verbundenen intensiven Gefühle werden in der Psychologie dadurch erklärt, dass es sich um einen Überlebensinstinkt handelt, der im Lauf der Evolution entstanden ist. Bindung stellt einen Überlebensmechanismus dar, der zunächst das sichere Aufwachsen des Kindes sowie später den Zusammenhalt eines Paares gewährleisten soll. Sie ist aber auch ein unerlässlicher Part in Familie und Freundschaften. Indem die Nähe zu einem Menschen hergestellt wird, wodurch sich die Anforderungen des Lebens besser meistern lassen, bildet sich eine biologische Funktion von Schutz. Die Bindung hat somit evolutionäre Wurzeln, um das Überleben zu sichern. Dadurch wird deutlich, warum die Reaktionen so mächtig sind, wenn der Verlust einer Bindungsperson droht.

Liebe ist also eine schöne Erfindung der Natur, um Bindung zwischen Menschen entstehen zu lassen. Sich verlieben bedeutet Bindung herzustellen und Liebe bedeutet Bindung zu erhalten. Es besteht also eine Wechselwirkung: Liebe führt zu Bindung – Bindung erhält Liebe [6].

Wege, um enge Beziehungen zu stärken

  1. Guter Umgang mit sich selbst: Selbstliebe und Selbstvertrauen sind die Voraussetzungen, um andere Menschen lieben und ihnen vertrauen zu können.
  2. Gemeinsame Ziele: Stabile Beziehungen zeichnen sich dadurch aus, dass die Beteiligten gemeinsame Ziele verfolgen und sich zusammen etwas für die Zukunft vornehmen und planen. Geteilte Zukunftsvisionen und Ziele, auf die wir gemeinsam hinarbeiten, stärken unsere Verbindungen wie kaum etwas sonst.
  3. Committment und Wertschätzung zeigen: Die Wahrscheinlichkeit, dass wir eine lange, stabile Partnerschaft führen, ist umso größer, je sicherer wir uns des beidseitigen Committments und der gegenseitigen Wertschätzung in unserer Beziehung sind. Und das lässt sich auch auf Freundschaften übertragen. Verlässlichkeit und Respekt fördern unser Vertrauen und unsere Motivation, uns für eine Beziehung zu engagieren. Aktiv Interesse am Leben des anderen Menschen zeigen und gegebenenfalls Aufwand auf sich nehmen, um für diese Person da zu sein, können für eine Freundschaft, Partnerschaft oder Familie kleine Hebel mit einer großen Wirkung sein.
  4. Unterschiede würdigen und respektieren: Gerade zwischen Männern und Frauen gibt es nach wie vor auffällige Unterschiede hinsichtlich ihrer Persönlichkeitsmerkmale. Doch jeder Mensch ist einzigartig. In all unseren Beziehungen wird es Unterschiede geben und Punkte, in denen wir uns nicht einig werden. Diese bewusst anzunehmen, anstatt sie klein zu reden und auszublenden zu versuchen, fördert den Respekt und die Akzeptanz zwischen uns. Und stärkt unsere Beziehung damit nachhaltig [9].

Bindungsstile

Zentrale Aspekte der Bindungstheorie ist die Übertragung des frühkindlichen Bindungskonzeptes auf erwachsene Beziehungen. Bindungsstile, die sich in der frühen Kindheit aufgrund von Erfahrungen mit einer Bezugsperson gebildet haben, dienen in späteren Beziehungen als Beziehungsschemata, also eine Art „Schablone“.

In den meisten Ansätzen werden drei Bindungsstile unterschieden:

  1. Sicher gebundene Erwachsene stellen mit Leichtigkeit Nähe her und haben wenig Angst vor Zurückweisung.
  2. Ängstlich-ambivalent gebundene Erwachsene haben ein starkes Bedürfnis nach Nähe, fürchten jedoch, dass ihr Partner dieses nicht erfüllen kann. Dies führt oft zu einer inneren Zerrissenheit zwischen einem starken Nähebedürfnis (Klammern) und Angst bzw. Ärger bei Distanz des Gegenübers.
  3. Vermeidend gebundene Personen weichen einer zu großen Nähe aus und versuchen in engen Beziehungen Distanz aufrechtzuhalten.

Die Bindungstheorie hat eine viele unterschiedlicher Studien angeregt und herausgearbeitet, wie man mit Hilfe von Fragebögen und Interviews die erwachsenen Bindungsstile erfassen kann. Die verschiedenen Stile hängen konsistent mit der Qualität, Stabilität und Zufriedenheit von Liebesbeziehungen zusammen [7].

Je länger ein Paar zusammen ist, desto stärker wird die Bindung, auch wenn die Intensität der Liebesgefühle Schwankungen unterliegt. Die so entstandene Bindung wird oft fälschlicherweise Weise „Gewohnheit “ genannt, jedoch beinhaltet sie weitaus mehr. Wie stark die Gefühle von Nähe, Geborgenheit und Zuneigung zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Beziehung ausgeprägt sind, ist abhängig von den Verhaltensweisen, die erwartet beziehungsweise vom Partner gezeigt werden. Die Summe der erwünschten oder nicht erwünschten Verhaltensweisen bestimmt anschließend die Zufriedenheit in der Beziehung [6].

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Liebe auf den ersten Blick

Die Liebe auf den ersten Blick gibt es relativ häufig, denn etwa die Hälfte aller Beziehungen basiert darauf. Jedoch gehen die meisten nach kurzer Zeit in die Brüche. Aus der Wahrnehmungspsychologie weiß man, dass drei Sekunden reichen, um unbewusst eine Entscheidung für oder gegen das Gegenüber zu treffen. Menschen bewerten ein Gesicht als attraktiver, wenn sie direkten Blickkontakt zum Gegenüber haben, denn dieser aktiviert im Gehirn sowohl die für Gefühlsleben zuständige Areale, wie auch die Belohnungszentren im Gehirn. Der positive Eindruck, den ein attraktives Gegenüber hinterlässt, führt dazu, dass man die betreffende Person idealisiert, das heißt man schreibt ihr mehr positive Eigenschaften zu als realistischerweise bekannt sein können.

Sich auf den ersten Blick zu verlieben hängt daher allein von der äußeren Attraktivität des Gegenübers ab, wobei zuerst das Gesicht und dann die Stimme wahrgenommen wird. Das Gefühlserleben ist deshalb besonders intensiv, weil es überraschend kommt und keine Zeit bleibt, sich darauf einzustellen.

Der Körper produziert in der Zeit großer Verliebtheit vor allem die Hormone Serotonin und Dopamin, wodurch die Testosteronproduktion erhöht wird. Nach durchschnittlich sechs Monaten gewinnt das Kuschelhormon Oxytocin die Oberhand und dann beginnt die Zeit von Nähe und Bindung.

Was man als Liebe auf den ersten Blick bezeichnet, ist also eine körperliche Anziehung, die die Bereitschaft steigert, eine Beziehung einzugehen. Doch um dieses kurze Gefühl in anhaltende Zuneigung zu verwandeln, muss man einander kennen lernen. Erst wenn die Gefühle Bestand haben und der erste Eindruck durch ein realistischeres Bild vom Gegenüber ersetzt wurde, kann man wohl von Liebe sprechen [5].

Liebe und Verliebtsein

Der Hormoncocktail ist mitverantwortlich dafür, dass plötzlich alles anders wahrgenommen wird und auch anders gehandelt wird. Ursprüngliche Denkmuster im Gehirn sind somit überbrückt und Entscheidungen finden über andere Nervenbahnen statt. Wenn die Beziehung dann länger dauert, gewöhnt sich der Körper an die Rauschzustände und die Euphorie nimmt ab. Die Verarbeitung in den Nervenbahnen läuft immer weniger über das Lustzentrum, dafür viel mehr über ein Gehirnareal, das Gefühle verarbeitet. Aus blindem Verliebtsein resultiert eine reifere Beziehung. (Tertilt, 2020)

Können alle Menschen lieben?

Das ist vor allem abhängig von der Definition von Liebe. Es gibt unterschiedliche Formen der Liebe und Beziehungsmuster, in denen diese Liebe gelebt wird. Wenn man alle diese Formen gelten lässt, wird vermutlich jeder Mensch zu mindestens einer Form der Liebe fähig sein.

Doch nicht alle sind auch zu jeder Form der Liebe fähig und sei es nur für einen gewissen Zeitraum. Psychische Störungen wie eine Depression, aber auch Traumata können Menschen derart verändern und prägen, dass sie zunehmend beziehungsunfähig werden. Sie isolieren sich, wodurch wichtige Faktoren für den Aufbau einer Liebesbeziehung fehlen. Menschen ohne Urvertrauen fällt es schwer, sich auf andere Personen einzulassen, was für langfristige Beziehungen ein zentraler Faktor ist. (Tertilt, 2020)

Können wir uns in jeden Menschen verlieben?

Die Attraktivität, die von einem Menschen ausgeht, basiert auf vielen Faktoren, wie dem Aussehen, dem Charakter, der Erscheinung und insbesondere auch dem Geruch. Der Mensch nimmt unweigerlich Duftnoten wahr, die bei jedem Menschen einzigartig sind, welche etwas mit dem Erbmaterial zu tun haben. Über diese speziellen Gerüche können unsere Körper kommunizieren und meist unbewusst signalisieren, ob der Gegenüber zur Fortpflanzung geeignet ist. Denn für die Evolution ist vor allem Vielfalt unweigerlich [3].

Liebe braucht Geduld

Neben Dopamin spielt schon nach wenigen Monaten vor allem das Hormon Oxytocin eine größere Rolle. Es vermittelt Geborgenheit und Vertrauen, reduziert Stress, Anstrengung und Aggression. Liebe bedeutet oft Arbeit, eine glückliche Beziehung steht nicht von Anfang an sicher und ist danach unzerstörbar. Vielmehr muss jeder Partner einiges investieren, um romantische und leidenschaftliche Gefühle, Zuneigung und emotionale Wärme aufrechtzuerhalten.

Wertvolle nüchterne Wissenschaft für das emotionalste Thema, leistete auch der Mathematiker John Gottman. Er versuchte, das Funktionsprinzip der Liebe in Zahlen zu fassen. Gottman ging es um mehr als nur die Vermessung der Liebe. Er wollte Paaren dabei helfen, stabile und glückliche Beziehungen aufzubauen. Sein Buch „Die Vermessung der Liebe“ bietet neben einem fundierten Einblick in die Theorie der Liebe auch konkrete Empfehlungen zur Konfliktbewältigung. Anders als andere Paartherapeuten gewinnt Gottmann seine Erkenntnisse, indem er über Jahrzehnte lang über tausende Paare in seinem Labor beobachtete. Er untersuchte ihren Kommunikationsstil, bestimmte ihren Biorhythmus und maß körperliche Reaktionen wie den Puls.

Das Resultat seiner Studien war u.a. das Verhältnis von 5:1, das Paaren Erfolg versprechen soll. Hatten Paare im Durchschnitt fünfmal mehr Momente positiv bewertet als negativ, dann waren sie glücklich und blieben es auch. Oder andersherum, um eine negative Interaktion mit einem Partner wieder auszugleichen, muss man (statistisch gesprochen) im Verhältnis mindesten fünf positive Interaktionen durchführen [8].

Im nachfolgenden Kasten bekommen Sie einen Überblick über die sogenannten apokalyptischen Reiter. Sie erfahren, wie Sie aktiv auf Ihre Kommunikation mit Ihrem Gegenüber achten können, um Krisensituationen bestmöglich auszuarbeiten.

Vier apokalyptische Reiter der Paarkommunikation [8]

Der führende Paarforscher John Gottmann belegte folgende vier Aspekte, die das nahende Ende einer Beziehung bedeuten, wenn sie nicht rechtzeitig gegensteuert werden:

Direkter Angriff
Niemand wird gerne angegriffen, denn dann greift man sofort zu Flucht- und Gegenangriffsstrategien. Finden Sie heraus, wie Sie Kritik so wertschätzend üben können, ohne sich angegriffen zu fühlen.

Verteidigung
Auf den weniger netten Auftakt eines Gesprächs, kontert der angegriffene Partner meist mit einer Rechtfertigung oder Verteidigung. Das ist der zweite Reiter. Menschlich ist das eine verständliche Reaktion, denn letztlich fühlt man sich meist zu Unrecht beschuldigt und will das klarstellen. Verteidigung führt fast immer zu einer weiteren Eskalation, indem der Angreifer sich ungehört und unverstanden fühlt und einen neuen Angriff startet.

Abwertung
Der gefährlichste der vier Reiter ist die Verachtung. Sie kann sich verbal durch gemeine Bemerkungen oder hässliche Schimpfworte zeigen, aber auch nonverbal. Wer hörbar aufstöhnt oder die Augen rollt, während der Partner spricht, zeigt ebenfalls mangelnden Respekt. Es geht nun nicht mehr nur um das Lösen von Problemen, sondern darum, den anderen zu verletzen.

Mauern
Der Kritisierte zieht sich zurück. Das kann entweder geschehen, indem er in stures Schweigen verfällt oder wortlos aus dem Zimmer geht. Mauern hinterlässt den zurückgebliebenen Partner hilflos und dieser erlebt das als ein Zeichen von Gleichgültigkeit ihm und der Beziehung gegenüber.

Lesen Sie mehr zum dem Thema Kommunikation.

Die Liebe allein versteht das Geheimnis, andere zu beschenken und dabei selbst reich zu werden.

Clemens von Brentano

Im Folgenden finden Sie ein Glücksrezept, mit dem Sie aktiv Ihre Zuneigung und Liebe aktivieren und verstärken können.

Übung Liebesbrief*

Ziel: positive Gefühle (insb. Liebe und Zuneigung) und positive Beziehungen fördern

Ein paar gute Gründe: fördert Dankbarkeit, eine gute Stimmung sowie die Beziehungszufriedenheit

Kurzbeschreibung: Schreiben Sie einen Liebesbrief an eine Person, die Sie schätzen.

Anleitung: Denken Sie an einen Menschen, den Sie gernhaben - z.B. Ihre Partner:in. Schreiben Sie dieser Person eine Art Liebesbrief, in dem Sie Ihre Gefühle und Gedanken mitteilen. Was schätzen Sie an der geliebten Person? An welche gemeinsamen Erinnerungen denken Sie? Was haben Sie kürzlich zusammen erlebt? Welche Krisen gemeinsam überwunden? Beispiele: Schreiben Sie Ihrem Partner, was Sie an ihm schätzen.

Übung: Bevor Sie den Brief schreiben, sammeln Sie stichpunktartig Ihre Gefühle, Gedanken und gemeinsamen Erlebnisse:

  1. Welcher Person möchte ich schreiben?
  2. Welche Gefühle fühle ich ihr gegenüber?
  3. Wofür bin ich dankbar?
  4. Wie denke ich über die Person?
  5. Was haben wir gemeinsam erlebt?

Alternativen: Schreiben Sie einen Brief an ein Familienmitglied (z. B. an Ihr Kinder oder einen Elternteil) oder an eine gute Freundin… Alternativ können Sie den Brief auch an sich selbst adressieren und die Aspekte wertschätzen, die Sie gerne an sich selbst mögen.

*Übung adaptiert nach Hausler (2019)

Zusammenfassung

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass romantische Liebe eine tiefgreifende emotionale Erfahrung ist, die jedoch schwer zu erklären ist. Es gibt verschiedene Definitionen und Ansätze, um die Liebe zu erfassen.

Quellen

[1] Kruse, B. (2020). Was bedeutet Liebe? Was es heißt, jemanden zu lieben | COSMOPOLITAN. https://www.cosmopolitan.de/was-bedeutet-liebe-92953.html

[2] Bierhoff, H.-W. (2018). Liebesstile aus psychologischer Sicht. https://www.forschung-und-lehre.de/forschung/liebesstile-aus-psychologischer-sicht-1314

[3] Tertilt, M. (2020, November 11). Das weiß die Wissenschaft über Liebe. quarks.de. https://www.quarks.de/gesellschaft/psychologie/das-weiss-die-wissenschaft-ueber-liebe/

[4] Wenninger, G. (2023). Liebe. Lexikon der Psychologie. https://www.spektrum.de/lexikon/psychologie/liebe/8878

[5] Stangl, W. (2023). Dreieckstheorie der Liebe – Online Lexikon für Psychologie & Pädagogik. https://lexikon.stangl.eu/15509/dreieckstheorie-der-liebe

[6] Schindler, L., Hahlweg, K., & Revenstorf, D. (2020). Liebe und Bindung. In L. Schindler, K. Hahlweg, & D. Revenstorf (Hrsg.), Partnerschaftsprobleme? So gelingt Ihre Beziehung—Handbuch für Paare (S. 3–17). Springer. https://doi.org/10.1007/978-3-662-60336-9_2

[7] Wulf, C. (2021). Liebe, Bindungstheorie im Dorsch Lexikon der Psychologie. https://dorsch.hogrefe.com/stichwort/liebe-bindungstheorie

[8] Gottmann, J. (2019). Die Vermessung der Liebe—Vertrauen und Betrug in Paarbeziehungen. Klett Cotta.

[9] https://www.facebook.com/brigitte. (2021, August 12). Schlüssel zum Glück: Konkrete Wege, um deine engsten Beziehungen zu stärken. brigitte.de. https://www.brigitte.de/liebe/beziehung/bindungen-staerken--so-kannst-du-deine-engsten-beziehungen-intensivieren-12787528.html


Tabea Straßer

Tabea ist Psychologiestudentin an der Leopold-Franzens-Universität in Innsbruck. Ihr allgemeines Interesse für zwischenmenschlichen Beziehungen wurden durch ihren dreijährige Aufenthalt in Australien, die damit einhergehenden Wechsel von Komfortzonen, den kulturell unterschiedlichsten Begegnungen und der tiefen Selbsterfahrung beeinflusst. Sie erhofft sich in einer zukünftigen Praxis diese Passionen durch eine ganzheitliche und psychotherapeutische Kombination zu praktizieren.