Selbstakzeptanz: Wie Sie Ihre Stärken wertschätzen lernen

Wenn uns die Positive Psychologie Eines lehrt, dann dass wir alle Wechselspiele aus Stärken und Schwächen sind. Niemand hat das Gesamtpaket, und Niemandem fehlt es.

Christopher Peterson

Haben Sie sich schon einmal gefragt, wie Sie zu ihrem Traumjob finden können? Zu einem Job, der sie erfüllt, bei dem sie Hürden und Herausforderungen mit einer Portion Freude angehen können, und bei dem Sie nicht lediglich die Stunden bis zum Feierabend herunterzählen? Forschung aus der Positiven Psychologie legt nahe, dass unsere berufliche Zufriedenheit eng mit der Nutzung unserer zentralen Charakterstärken - den sogenannten„Signaturstärken“ - zusammenhängt. [1,2]
Daraus ergibt sich: Wer diese kennt, kann Arbeitgeber und Job gezielter auswählen und die Tätigkeit so beeinflussen, dass die zentralen Stärken vermehrt zum Einsatz kommen. Das Ergebnis ist ein eine erhöhte Leistungsfähigkeit, Freude am Tun und ein gesteigertes Wohlbefinden.

Was sind Stärken?

In der Alltagssprache setzen wir stärken häufig mit anderen Konzepten wie Talenten, Fähigkeiten, oder Interessen gleich. [4]

In der Positiven Psychologie versteht man unter Stärken persönliche, überdauernde Muster von Gedanken, Gefühlen, und Verhaltensweisen, die Energie geben und bestmögliche Leistung ermöglichen. [3] Sie sind damit jedem Menschen eigen und sind zeitstabil, jedoch trotzdem veränderbar. Auch wenn zwei Menschen dieselbe Stärken benennen, so werden Sie diese dennoch anders erleben (Fühlen), darüber denken (Denken), und diese anders in Verhalten umsetzen (Handeln). Auch weisen Stärken eine starke Kontextabhängigkeit auf. So drücken wir zum Beispiel „Freundlichkeit“ gegenüber unserem Lebenspartner anders aus als gegenüber einem Bedürftigen, der uns um Essen fragt. [2]

Nur weil wir eine Stärke besitzen, heißt das nicht automatisch dass wir Sie bewusst wahrnehmen und einsetzen. Wir können auch Stärken besitzen ohne diese aktiv einzusetzen - in diesem Fall spricht man von „schlafenden Stärken“. Um uns dieser bewusst zu werden kann es hilfreich sein, enge Freunde oder Familienmitglieder zu fragen. was diese als ihre Stärken empfinden. Am Besten tun Sie das mit Hilfe der Liste der Charakterstärken weiter unten im Artikel.

Stärke

Stärken Nutzen ist wie Segel Setzen

Stellen Sie sich vor, Sie befinden sich auf einem Segelboot ohne Land in Sicht und bemerken ein Leck. Damit Sie nicht kentern ist die Reparatur des Lecks natürlich lebensnotwendig, doch damit Sie in ihrer Reise vorankommen, ist das Setzen der Segel essenziell. Genauso verhält es sich mit den Stärken und den Schwächen – nur wenn wir die Segel setzen gewinnen wir an Fahrt und nähern uns stetig unseren Zielen an.[3]

Bei der Arbeit mit unseren Schwächen kann uns eine selbstmitfühlende Haltung verhelfen. Dabei geht es darum zu lernen, sich selbst mit Wohlwollen gegenüberzutreten. (Mehr zum Thema Selbstmitgefühl und konkrete Übungen dazu finden Sie in unserem Artikel „Selbstmitgefühl: Wie Sie in sich einen guten Freund finden".)

Rad

Reflexion:

  1. Atmen Sie einige Male tief ein und langsam aus. Nutzen sie dabei die gesamte Kapazität ihrer Lungen.
  2. Welche Stärken können Sie bei sich ausmachen? Denken Sie daran, dass eine Stärke je nach Kontext in unterschiedlichem Verhalten resultieren kann. z.B. Sie können hilfsbereit sein, auch wenn sie manchmal aufgrund von Stress Unterstützung ablehnen.

Von den Stärken zu den Charakterstärken

Als 1952 die erste Version des DSM (englisch: Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders) zur Klassifikation psychischer Störungen erschien, begann eine neue Ära der Definition und Erforschung sämtlicher psychischer Störungen und der bis heute andauernden Verbesserung klinischer Behandlungsmethoden. Mit der Einführung des Konzeptes der Charakterstärken in die (Positive) Psychologie starteten Martin Seligman und Christopher Peterson eine Gegenbewegung: Eine wissenschaftliche Untersuchung vom menschlichen Charakter und die Definition von 24 Charakterstärken als erwünschenswerte und erstrebenswerte Eigenschaften, zu denen alle Menschen, unabhängig ihrer kulturellen Zugehörigkeit „Ja sagen können.“ [5]

Die 24 Charakterstärken lassen sich theoriegeleitet in sechs Stärkenfamilien gruppieren. Jeder Mensch weist im Durchschnitt bei drei bis sieben Charakterstärken eine besonders hohe Ausprägung vor. Diese „Signaturstärken“ sind Stärken, mit denen wir uns besonders identifizieren und die ein wesentlicher Bestandteil unseres Selbstbildes sind. [5] Die„Signaturstärken“ sind in ihrer ganz persönlichen Ausprägung so individuell wie ein Fingerabdruck. [4]

Stärke2

Charakterstärken und Tugenden [6]*

  1. Weisheit und Wissen: „Kopf-Stärken“, also Stärken die uns bei Wissenserwerb und -verwertung unterstützen.
    Kreativität, Neugier, Urteilsvermögen, Liebe zum Lernen, Weisheit
  2. Mut: „Herzstärken“, also emotionale Stärken, die uns bei Widerstand und Hindernissen helfen, unsere Ziele zu erreichen.
    Tapferkeit, Ausdauer, Authentizität, Enthusiasmus
  3. Menschlichkeit: „Beziehungsstärken“, also alle Stärken die uns im zwischenmenschlichen Umgang beiseite stehen.
    Bindungsfähigkeit, Freundlichkeit, Soziale Intelligenz
  4. Gerechtigkeit: „Gruppenstärken“, also alle Stärken die uns in Gruppen oder Teams helfen.
    Teamwork, Fairness, Führungsvermögen
  5. Mäßigung: „Balancestärken“, also alle Stärken die uns helfen eine gesunde Mitte in unserem Verhalten und Erleben zu finden.
    Vergebungsbereitschaft, Bescheidenheit, Vorsicht, Selbstregulation
  6. Transzendenz: „Sinn-Stärken“, also Stärken die über das Hier und Jetzt und das „Ich“ hinausgehen.
    Sinn für das Schöne, Dankbarkeit, Hoffnung, Humor, Spiritualität

Wobei helfen uns Charakterstärken?

Es gibt einen inzwischen gut etablierten Zusammenhang zwischen den Charakterstärken und der Lebenszufriedenheit, insbesondere bei den Stärken Hoffnung, Lebenskraft, Dankbarkeit, Neugier, und Bindungsfähigkeit. [7,8] Auch weiß man, dass sich stark ausgeprägte bzw. entwickelte Charakterstärken in größerem Erleben von Flow und subjektivem Wohlbefinden äußern. [9,10] Das Erkennen der eigenen Stärken, sowie der bewusste Einsatz dieser über eine Woche hinweg – ähnlich der Übung am Ende des Artikels – korreliert mit geringeren depressiven Symptomen. [11] Auch in der Psychotherapie hat sich eine Einbeziehung der Stärken als positiv in der Behandlung von Depression gezeigt. [12] Interessanterweise kristallisieren sich unsere Charakterstärken im Laufe unseres Lebens klarer heraus, was möglicherweise mit der Entwicklung unserer Persönlichkeit über die Lebensspanne zusammenhängt. [13]

Stärken

Übung Stärkenprofil [6]*

Dauer: 30 Min (15-20 Min für den Fragebogen, 10 Min für Reflexion)

Ziele: Das Identifizieren der eigenen Charakterstärken anhand eines Stärkenprofils, Reflexion über den Einsatz dieser Stärken in verschiedenen Lebensbereichen

Ein paar gute Gründe: Fördert Wohlbefinden, psychische Leistungsfähigkeit, und das Erleben von Freude, Verringerung von Depression

Hintergrund: Neben der Definition und Abgrenzung der Charakterstärken war ein weiterer wichtiger Teil der Forschungsarbeit von Peterson und Seligman die Entwicklung eines Messinstrumentes zur verlässlichen Erfassung der Charakterstärken. Das ist mit dem 120 Fragen umfassenden VIA („Values in Action“) Selbstbeurteilungsfragebogen gelungen. Der Test ist mittlerweile in mehr als 35 Sprachen verfügbar und zeigt ihnen ihre persönliche Rangfolge der Nutzung der 24 Charakterstärken.

TEIL 1: Stärken-Fragebogen

1) Klicken Sie auf diesen Link um zum VIA-Stärkentest zu gelangen.

2) Registrieren Sie sich dort für den kostenlosen Test unter „Take the free survey.“ Dort können Sie zwischen mehr als 35 Sprachen auswählen, inklusive Deutsch. Gehen Sie dann auf „Register Now.“

3) Füllen Sie nun den Fragebogen aus.

4) Ihre Ergebnisse erhalten Sie anhand eines Stärkenprofils. An den ersten Stellen sehen Sie Ihre Top-Stärken, also Stärken die Sie aktuell am häufigsten zeigen.

Wichtig: Der Test erfasst die Stärken anhand der Verhaltensauffälligkeit. Stärken auf den hinteren Plätzen sind demnach keine Schwächen, sondern Stärken die (im Moment) nicht so sehr zum Tragen kommen. Sie können diese aktiv trainieren, also regelmäßiger anwenden, wodurch dann aber eine andere Stärke weiter nach unten rutscht.

TEIL 2: Stärkenreflexion und Training

1) Wo setzen Sie welcher ihrer Stärken in verschiedenen Bereichen aktuell ein?

2) Welche ihrer Stärken würden Sie gerne häufiger anwenden?
Beispiel: Die Stärke „Spiritualität“ können Sie zum Beispiel dadurch fördern, dass Sie sich nicht nur einmal die Woche Zeit nehmen zum Meditieren oder Yoga machen, sondern zwei- bis dreimal pro Woche.

3) Welcher ihrer Stärken würden Sie gerne in einem neuen Zusammenhang anwenden?
Beispiel: Die Stärke „Begeisterungsfähigkeit“ kann nicht nur im privaten Kontext ausgelebt werden, sondern auch im Job indem Sie beispielsweise eine neue Initiative starten.

4) Suchen Sie sich eine ihrer Top-Stärken heraus. Wie könnten Sie diese Top-Stärke in ihrem Alltag konkret einsetzen? Finden Sie dabei, wenn möglich, konkrete Situationen.

5) Kehren Sie nach einer Woche, in der Sie ihre Top-Stärke vermehrt eingesetzt haben, nochmals zu dieser Übung zurück. Was möchten Sie davon beibehalten und in ihren Alltag einbauen?

*Stärkenübersicht und Übung adaptiert nach Hausler (2019)

Quellen

[1] Hausler, M. et al. Associations between the Application of Signature Character Strengths, Health and Well-being of Health Professionals. Frontiers in psychology 8, 1307–1307 (2017).

[2] [Niemiec, R. Character Strenghts Interventions: A Field Guide for Practitioners. (Hogrefe Publishing, 2018).

[3] Biswas-Diener, R. Practicing positive psychology coaching: Assessment, activities, and strategies for success. (2010).

[4] Blickhan, D. Positive Psychologie : ein Handbuch für die Praxis. (2015).

[5] Peterson, C. & Seligman, M. E. P. Character strengths and virtues: A handbook and classification. xiv, 800 (Oxford University Press, 2004).

[6] Hausler, M. Glückliche Kängurus springen höher | Junfermann Verlag. (Junfermann, 2019).

[7] Park, N., Peterson, C. & Seligman, M. E. P. Character strengths in fifty-four nations and the fifty US states. The Journal of Positive Psychology 1, 118–129 (2006).

[8] Park, N., Peterson, C. & Seligman, M. E. P. Strengths of character and well-being. Journal of Social and Clinical Psychology 23, 603–619 (2004).

[9] Peterson, C., Ruch, W., Beermann, U., Park, N. & Seligman, M. E. P. Strengths of character, orientations to happiness, and life satisfaction. The Journal of Positive Psychology 2, 149–156 (2007).

[10] Peterson, C., Park, N. & Seligman, M. E. P. Greater strengths of character and recovery from illness. The Journal of Positive Psychology 1, 17–26 (2006).

[11] Seligman, M. E. P., Steen, T. A., Park, N. & Peterson, C. Positive psychology progress: empirical validation of interventions. Am Psychol 60, 410–421 (2005).

[12] Seligman, M. E. P., Rashid, T. & Parks, A. C. Positive psychotherapy. American Psychologist 61, 774–788 (2006).

[13] Alex Linley, P. et al. Character strengths in the United Kingdom: The VIA Inventory of Strengths. Personality and Individual Differences 43, 341–351 (2007).


David Berger

David studiert an der Universität in Innsbruck Psychologie im Bachelor. Sein vorheriges Studium in Molekularbiologie mit der damit einhergehenden präzisen Denkweise mischen sich mit einem großen Interessen an Buddhismus, Yoga, und weiteren Methoden der tiefen Selbsterfahrung. Er hofft diese Interessen in seiner zukünftigen Praxis in einer ganzheitlichen psychotherapeutischen Arbeit zu kombinieren.