Mensch, erkenne dich selbst, dann weißt du alles.
Menschen nehmen die Welt ganz unterschiedlich wahr. Wir denken alle anders und werden durch unser Umfeld und unsere Erfahrungen zu einem individuellen Selbst geprägt. Wie wir unser Selbst wahrnehmen und wie wir unseren eigenen Selbstwert einschätzen – ob wir zufrieden sind oder eher an uns zweifeln – hängt von verschiedenen Aspekten ab.
Nehmen Sie sich gern einen Moment Zeit und denken Sie darüber nach wie Sie ihren eigenen Selbstwert beurteilen und wie es zu dieser Annahme kommt.
Der Selbstwert besteht im Grunde aus den Emotionen und Gefühlen, die wir uns Selbst gegenüber haben. Er resultiert durch einen durchgehenden Prozess und ist das Ergebnis ständiger Entwicklung und der Bewertung der eigenen Person oder Aspekten, die die eigene Person ausmachen. Dazu gehören Persönlichkeitseigenschaften, Fähigkeiten und das eigene emotionale Erleben. Dieser Prozess findet jedoch nicht isoliert statt, sondern ist immer im Zusammenhang des sozialen Umfeldes zu betrachten. Nach Erikson sind drei Faktoren für die Entwicklung unseres Selbstwertgefühls bestimmend: genetische Faktoren, Sozialisierung und individuelle Faktoren. Es liegt die Vermutung nahe, dass mit einem negativem Selbstkonzept, ein niedriger Selbstwert einhergeht. Entscheidend ist aber vielmehr das Wissen über das eigene Selbst. Wer das Gefühl hat, sich selbst nur wenig zu kennen, neigt eher zu einer unsicheren und instabilen Einschätzung seiner eigenen Person.[1,2,5]
Entwicklung des Selbstwertes im Kinder- und Jugendalter
Tendenziell zeigt sich in der mittleren Kindheit ein besonders hoher Selbstwert, was sich vermutlich auf die unrealistisch hohe Einschätzung des eigenen Selbstkonzeptes zurückführen lässt. Das ändert sich dann spätestens mit dem Schuleintritt, in Folge von zwischenmenschlichen Vergleichen mit der Leistung von Mitschülern oder der Fremdbeurteilung durch beispielsweise Lehrer. Studien zeigen, dass gerade negatives Feedback durch andere Personen in das eigene Selbstkonzept integriert wird und infolgedessen der Selbstwert wieder abnimmt.
Mit zunehmender Gewichtung des Selbstkonzepts und körperlichen Veränderungen sinkt der Selbstwert bis zu einem Tiefpunkt im späten Jugendalter weiter ab. Dieser Verlauf wird vermutlich durch negative Ereignisse in der Vergangenheit, pessimistische Zukunftsaussichten und körperliche Veränderungen geprägt, verstärkt durch die kausale Beziehung von Persönlichkeitseigenschaften und dem eigenen Verhalten.[1]
Muster in der Selbstwertentwicklung
Natürlich entwickelt sich aber jeder Mensch ganz individuell. Zumindest über die Jugend hinweg lassen sich nach Zimmerman vier unterschiedliche Entwicklungsverläufe benennen: Zum einen ein kontinuierlich hoher bzw. niedriger Selbstwert und zum anderen ein Anstieg bzw. ein Absinken des Selbstwertes. Dabei lässt sich bei Mädchen viel häufiger ein kontinuierlich absinkender Selbstwert identifizieren, umgekehrt ist bei Jungen viel eher ein kontinuierlich ansteigender Selbstwert zu beobachten. Die unterschiedlichen Entwicklungsverläufe hängen stark mit der Anfälligkeit von negativen Umwelteinflüssen wie Alkoholmissbrauch zusammen. Daraus lässt sich schließen, dass gerade die späte Kindheit bzw. die frühe Jugend ein guter Prädiktor für die weitere Entwicklung des Selbstwerts ist und ein wichtiger Zeitpunkt, um Maßnahmen für eine Steigerung des Selbstwerts einzuleiten.[5,7] (vgl. Bindung vs. Autonomie)
Aufbauend auf der Selbstbestimmungstheorie von Deci und Ryan ist die Erfüllung dreier Grundbedürfnisse Vorrausetzung für die Bildung eines stabilen positiven Selbstwerts. Dazu gehören die Bedürfnisse nach Kompetenz, Autonomie und sozialer Eingebundenheit. Der Mensch braucht, einfacher gesagt, das Gefühl wirksam zu sein, frei entscheiden zu können und geliebt zu werden, um seine eigene Person wertschätzen zu können.[1]
Aus evolutionärer Sicht ist das auch durchaus sinnvoll. Das Bedürfnis nach Kompetenz gibt den Anreiz, sich die Fähigkeiten anzueignen, die für das Überleben nötig sind. Heute geht es zwar nicht unbedingt darum, wer besser Jagen oder Feuer machen kann, dennoch versprechen gute Leistungen besonders in der Schule erfolgreiche Berufsaussichten und somit finanzielle Absicherung. Darüber hinaus stützt sich das Kompetenzbedürfnis auf das Gefühl von anderen wertgeschätzt zu werden und selbstwirksam zu sein. Hierbei ist die eigene Erwartung gemeint aus eigenen Stücken Herausforderungen erfolgreich meistern zu können und erwartete Ziele eigenständig erreichen zu können. Das Bedürfnis nach Autonomie und Selbstbestimmung dient dazu, unseren eigenen Absichten nachzugehen und nicht den Zielen Anderer, die nicht unsere eigene Existenz sichern. Das Gefühl, selbst entscheiden zu können, wie viel Zeit wir für Tätigkeiten und Personen investieren, ist hierbei grundlegend. Damit wir uns aber auch in eine absichernde Gemeinschaft eingliedern und Bindungen schließen, die unter anderem auch zur Fortpflanzung dienen, empfinden wir das essenzielle Bedürfnis nach sozialer Eingebundenheit. Positive Beziehungen geben uns das Gefühl dazu zu gehören und Teil eines Ganzen zu sein. Je ausgeglichener die Befriedigung dieser Grundbedürfnisse erfolgt bzw. je mehr man sich in der Lage fühlt sie selbst zu erfüllen, desto eher kann ein optimaler Selbstwert erreicht werden. Diese Bedürfnisse sind eng miteinander verknüpft und bedingen sich teilweise sogar gegenseitig.[2,3,4,5] So vernachlässigt beispielsweise eine übermäßige Bindung an die Familie, das Bedürfnis nach Autonomie.[7] Überlegen Sie doch einmal Selbst – inwieweit wurden Ihnen diese Bedürfnisse die letzten Tage erfüllt? Würden Sie zustimmen, dass sie Einfluss auf ihr Wohlbefinden und Ihren Selbstwert hatten?
Ergänzend zum Modell der Grundbedürfnisse, betont Higgins die Selbstdiskrepanztheorie. Diese besagt, dass der Mensch durchgehend sein aktuelles Selbstkonzept, mit dem seiner Vorstellung von seinem idealen Selbstkonzept und dem Selbstkonzept, wie es vielleicht andere von ihm erwarten, vergleicht. Wird dann eine Diskrepanz zwischen beispielsweise dem „Pflicht-Selbst“ und dem „Aktual-Selbst“ wahrgenommen, können Gefühle wie Bedrohung oder sogar Angst hervorgerufen werden, da die Vermeidung von Strafen in den Fokus gerät. Anders bei Diskrepanzen zwischen dem „Ideal-Selbst“ und dem „Aktual-Selbst“, bei welchen die An- bzw. Abwesenheit von Belohnung eine wichtigere Rolle spielt.[7]
Ergänzend ist zu erwähnen, dass das höchste Ziel kein bedingungslos hoher Selbstwert sein sollte, denn eine realitätsverleugnende Einschätzung seines Selbst, reduziert Kritikfähigkeit, Offenheit und erhöht das Gewaltpotenzial. Ein zu niedriger Selbstwert wiederum ist mit depressiven Symptomen verbunden. Eine leichte Selbstüberschätzung, ist durchaus normal und kann sogar hilfreich sein, beispielsweise bei der Erreichung von Zielen oder der Sozialen Eingebundenheit. Mindestens genauso wichtig ist aber auch die Stabilität des Selbstwertes.[6]
Erinnern wir uns nun noch einmal an das Bild Ihres eigenen Selbstwertes zurück. Was waren einschneidende Erlebnisse oder Personen, die Ihren Selbstwert geprägt haben, gerade in Hinblick auf die drei wichtigen Grundbedürfnisse? Wir erinnern uns: Bindung, Autonomie und Kompetenz. Wo wäre es wichtig noch einmal genauer hinzuschauen, um einen stabilen positiven Selbstwert zu unterstützen?
Gehen Sie wie folgt vor:
[1] Blickhan, D. Positive Psychologie: Ein Handbuch für die Praxis. (Paderborn: Junfermann Verlag, 2018)
[2] Chmielewski, F., Hanning, S. Möge der Selbstwert wachsen und realistisch sein – Rezension zu den Therapie-Tools „Selbstwert “.,5-31; 49-63 (Stuttgart: Georg Thieme Verlag KG, 2021)
[3] Deci, E. L., & Ryan, R. M. Die Selbstbestimmungstheorie der Motivation und ihre Bedeutung für die Pädagogik. Zeitschrift für Pädagogik 39, 223-238 (1993).
[4] Hausler, M.. Glückliche Kängurus springen höher. Impulse aus der Glücksforschung und Positiver Psychologie. (Paderborn: Junfermann Verlag, 2019)
[5] Lohaus, A., Vierhaus, M., & Maass, A. Entwicklungspsychologie. (Berlin, Heidelberg: Springer, 2016)
[6] Spitzer, N. Erfolgsabhängiger Selbstwert – das instabile Selbst von Perfektionisten. In Perfektionismus und seine vielfältigen psychischen Folgen. 65-81 (Berlin, Heidelberg: Springer, 2016)
[7] Zimmermann, P., & Iwanski, A. Bindung und Autonomie im Jugendalter. Individualität, Gruppen und Autonomie. (Stuttgart: Verl. Freies Geistesleben, 2014)
Die Selbstliebe macht uns ganz und gar zu dem, was wir sind.